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Wissensarbeit

Der Mensch im Fokus:
Wissensarbeit mit digitalen Medien

Wissen ist in Industriegesellschaften eine wertvolle Ressource. Wie Wissensarbeit mit digitalen Medien im beruflichen Umfeld erfolgreich gelingt, untersuchen Forschende am IWM praxisnah.
PD Dr. Annika Scholl, stellvertretende Leiterin der Arbeitsgruppe Soziale Prozesse, über das digitale Generieren von Wissen und die Effekte auf die Arbeitswelt

Was verbirgt sich hinter dem Begriff Wissensarbeit?


Scholl: Menschen steht unendlich viel Wissen zur Verfügung, ob in ihren Köpfen oder in zahllosen anderen Quellen. Wird mit diesem verfügbaren Wissen im beruflichen Kontext neues Wissen generiert, dann sprechen wir von Wissensarbeit. Die zentrale Frage unserer Forschung ist, wie Menschen in Organisationen mit Wissen umgehen, wie sie es wahrnehmen und austauschen. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Rahmenbedingungen ableiten, damit Wissensarbeit mit Hilfe digitaler Medien erfolgreich gelingt.

Welche digitalen Medien betrachten Sie in diesem Zusammenhang?

S_ Wir befassen uns mit einer großen Bandbreite an digitalen Medien – vom Roboter in der Werkshalle über Videokonferenzen im Homeoffice oder interaktive Infografiken bis hin zu digitalen beruflichen Netzwerken. Daneben beschäftigen wir uns auch mit dem optimalen Design moderner Technologien. Dabei nehmen wir die Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer ein, um die Effekte zu verstehen, die der Einsatz von digitalen Medien mit sich bringt.

Für wen sind solche Forschungsergebnisse relevant?

S_ Für alle, die mit Wissen arbeiten. Das können Mitarbeitende in der Produktion sein, ebenso wie Führungskräfte im Dienstleistungsbereich oder medizinisches Personal im Krankenhaus. In jeder Organisation ist Wissen eine der zentralen Ressourcen und beim Umgang mit diesem Wissen, also der Wissensarbeit, spielen digitale Medien eine immer bedeutendere Rolle. Das hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt, durch die viele Berufstätige von einem Tag auf den anderen ihre Büros verlassen mussten und sich nur noch digital austauschen konnten.

Können Sie an einem Beispiel konkret erklären, womit Sie sich beschäftigen?

S_ Wir gehen gesellschaftlich relevanten Fragen nach, etwa, ob sich die Arbeitsweise verändert, wenn Wissensarbeitende mobil oder im Büro arbeiten. Ein Ergebnis unserer aktuellen Studien ist, dass sich Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitenden weniger verantwortlich fühlen, wenn sie diese nur in Online-Meetings treffen. Die virtuelle Distanz beeinflusst also das Führungserleben. Wir haben jedoch auch erste Hinweise darauf, dass dies durch häufigen Kontakt zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden ausgeglichen werden kann. Das ist auch zukünftig von Bedeutung, denn mobile Arbeit und damit digitale Führung werden uns erhalten bleiben. Selbst dann, wenn ein Großteil der Teams wieder ins Büro zurückkehrt. Und auch dieser Prozess wird nicht zwangsläufig reibungslos verlaufen. Er ist womöglich vergleichbar mit der Rückkehr von Mitarbeitenden nach einem längeren Auslandsaufenthalt, den Organisationen ebenso gut vorbereiten. Mit derselben Aufmerksamkeit sollten sie die Rückkehr vom Homeoffice an den Büroarbeitsplatz begleiten.

Ihre Forschung adressiert sehr unterschiedliche Zielgruppen. Wie erfahren diese von Ihren Erkenntnissen?

S_ In der Tat interessiert das Thema Wissensarbeit mit digitalen Medien eine sehr breite Öffentlichkeit – das sehen wir an den vielen Presseanfragen. Neben praxisrelevanten Zeitschriftenartikeln, wissenschaftlichen Publikationen und Vorträgen kommunizieren wir unsere Erkenntnisse auf dem Onlineportal wissensdialoge.de. Jede Woche veröffentlichen wir hier einen Blogbeitrag zu organisationalem Lernen, Personalentwicklung, Team und Führung.

Sie haben bei Ihrer Forschung Organisationen im Blick, die sehr verschieden sind. Kommen Sie trotzdem zu allgemeingültigen Aussagen?

S_ Es ist richtig, ein Industriebetrieb, Krankenhaus oder eine Hochschule unterscheiden sich in Aufgabengebieten und eingesetzten digitalen Technologien sehr. Und dennoch haben sie auf psychologischer Ebene viele Gemeinsamkeiten. Jede Organisation ist ein „Ökosystem“ der Wissensarbeit, denn sie beinhaltet zum Beispiel Führungskräfte und Teams, die in irgendeiner Form mit digitalen Medien zusammenarbeiten. Die psychologischen Prozesse, die hier den Umgang mit Wissen lenken, laufen sehr ähnlich ab.

Gibt es etwas, das für alle wesentlich ist für die Zusammenarbeit in digitalen Kontexten?

S_ Zentral ist, den Fokus auf die Mitarbeitenden zu richten. Menschen nutzen neue digitale Tools nicht mechanisch, sondern es bewegt sie psychologisch etwas dabei. Wann sind sie motiviert, ein Tool anzunehmen und damit zu arbeiten? Wann sind sie bereit, Wissen zu teilen und unverfälscht aufzunehmen, oder aber, es komplett verfälscht zu lesen? Damit Wissensarbeit mit digitalen Medien im Berufsalltag gelingt, ist es wichtig, diese Rahmenbedingungen zu identifizieren.

Zitat Dr. Annika Scholl

Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

S_ Vor einiger Zeit haben viele Betriebe Wikis als interne Plattformen eingeführt, um den Wissenserwerb und Wissensaustausch zu fördern. Diese Wikis bleiben aber oft leer, weil sie niemand mit Wissen befüllt. Ob Mitarbeitende bereit sind, ihr Wissen zu teilen und mit neu eingeführten digitalen Medien zu arbeiten, hängt eng mit dem Bewusstsein für das eigene Team oder die Organisation zusammen. Das haben wir über viele unterschiedliche Studien hinweg immer wieder festgestellt. Wenn alle nur ihr eigenes Ziel verfolgen, werden sie keine Informationen teilen. Hier schließt sich der Kreis zur Arbeit im Homeoffice, in der die individuelle Arbeitsleistung ausgezeichnet sein kann, aber der Zusammenhalt im Team oft leidet. Die Forschung zeigt somit, dass Unternehmen neue Technologien mit sehr guter Intention einführen, aber es müssen eben auch psychologische Faktoren wie die Zusammengehörigkeit in der Organisation und die Motivation jedes Einzelnen gestärkt werden. In unserer Forschung vergleichen wir dazu zum Beispiel unterschiedliche Formate und kommunizieren, welche Maßnahmen mehr oder weniger geeignet sind, um diese Ziele zu erreichen.

Wie wichtig ist eine gute Gestaltung digitaler Medien als Motivationsfaktor?

S_ Sie spielt eine zentrale Rolle. Die Forschung zum optimalen Design von Plattformen hat eine lange Tradition am IWM und wir beschäftigen uns in vielen Projekten damit, wie digitale Schnittstellen gestaltet sein müssen, um Wissensaustausch und Entscheidungsfindung zu fördern. Ein Beispiel für das breite Spektrum unserer anwendungsorientierten Forschung ist der von unserem Institut entwickelte Multi-Touch-Tisch. Für den Prototyp haben wir in mehreren Studien untersucht, wie die interaktive Oberfläche des Tisches gestaltet sein muss, damit Ärztinnen und Ärzte sie einfach bedienen und Informationen aus verschiedenen Dokumenten besser miteinander verknüpfen können, um sich letztlich für die richtige Diagnose zu entscheiden.

Ein Blick in die Zukunft: Wie geht die Forschung zu Wissensarbeit mit digitalen Medien weiter?

S_ Die Digitalisierung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und wurde durch die Corona-Pandemie in vielen Lebensbereichen kräftig befeuert. Dieser Schub wird anhalten, denn es werden viele digitale Medien hinzukommen – denken Sie nur an den Bereich der Sprachassistenten oder die künstliche Intelligenz. Für die erfolgreiche Wissensarbeit mit diesen und anderen Zukunftstechnologien werden Organisationen neue Erkenntnisse brauchen.

3 Fragen an: PD Dr. Annika Scholl

Annika Scholl ist stellvertretende Leiterin der Arbeitsgruppe Soziale Prozesse. Sie forscht unter anderem zu den Effekten der Mediennutzung auf das Verhalten von Mitarbeitenden und Führungskräften in Unternehmen. Dabei hat sie vor allem soziale Faktoren wie Macht oder Verantwortung im Blick. Im Interview erklärt sie, wie Wissensarbeit vor 20 Jahren ausgesehen hat und wie wir sie uns in 20 Jahren vorstellen können. Dass digitale Medien dabei eine bedeutende Rollen spielen, ist unstrittig.