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Hochschule

Hochschullehre gestalten:
Das Potenzial digitaler Medien nutzen

Digitale Medien haben das Potenzial, die Hochschullehre individualisierter, effektiver und flexibler zu gestalten. Doch von selbst entfalten sich diese Möglichkeiten nicht, insbesondere wenn die Umstellung auf Online-Lehre – wie während der Corona-Pandemie – schnell gehen muss. Mit seiner Forschung und dem erfolgreichen Online-Portal e-teaching.org unterstüzt das IWM die Erprobung und Implementierung digitaler Veranstaltungsformate sowie Lehrmethoden und moderiert den Wissenstransfer.
Dr. Anne Thillosen, Leiterin des IWM-Portals e-teaching.org, über die Digitalisierung der Hochschullehre und erfolgreich moderierten Wissenstransfer

Gehören Hochschulen zu den Vorreitern in Sachen Digitalisierung?


Thillosen: Lange Zeit hieß es, Hochschulen seien bei der Digitalisierung nicht sehr innovationsfreudig. Dass sie mit dem Beginn des ersten Lockdowns aber innerhalb weniger Wochen auf reine Online-Lehre umsteigen konnten, heißt, dass über die Jahre bereits eine gute Basis geschaffen wurde. Allerdings lief das eher im Hintergrund. Tatsächlich waren Learning-Management-Systeme oder der Einsatz von Videos und multimedial angereicherten Materialien aber durchaus an der Tagesordnung. Bereits vor Corona hatten die meisten Hochschulen schon engagierte Service-Einrichtungen, die sich um das Thema Digitalisierung kümmerten. Das aktuelle Fazit ist: Viele sind überrascht darüber, was sie gekonnt haben.

Fakt ist aber auch: Das Überführen analoger Formate in die digitale Welt ist mancherorts schon das Höchstmaß an Digitalisierung. Woran liegt das?

T_ Viele Dozentinnen und Dozenten orientieren sich daran, was sie selbst während ihres Studiums als gute Lehre empfunden haben, und da spielten digitale Medien bisher eher eine untergeordnete Rolle. Wir haben Hunderte von Jahren Erfahrung in der analogen Lehre und jede Menge Wissen darüber, was funktioniert – wobei die Frage der didaktischen Gestaltung an Hochschulen, im Gegensatz zum Schulkontext, meist völlig im Hintergrund stand. Auf jeden Fall ist es ganz natürlich, dass man Bewährtes beibehält und überträgt. Aber wie funktioniert „gute Lehre“ mit digitalen Medien? Tatsache ist: Wir sind auch nach 20 Jahren Digitalisierung immer noch gerade erst dabei, das herauszufinden – auch wenn es inzwischen durchaus schon einige Erfahrungen gibt. Aber die Möglichkeiten, die Medien bieten, entwickeln sich ja auch ständig weiter. Das ist das Spannende an unserem Aufgabenbereich: Wir beim IWM erforschen, wie sich digitale Medien optimal einsetzen lassen in der Hochschullehre – in engem Austausch mit der Praxis.

Dreh- und Angelpunkt ist das vom IWM betriebene Portal e-teaching.org. Wie gestalten Sie den Wissenstransfer in die Praxis?

T_ Unser Wissensportal bietet eine breite Basis an Inhalten und Angeboten, die über jetzt bald zwei Jahrzehnte gewachsen ist. Jedes Semester startet ein neues Themenspecial. Das können Forschungs- oder technische Fragen sein, zu denen wir jeweils eine Veranstaltungsreihe mit externen Referentinnen und Referenten organisieren, Themenseiten gestalten und Informationen zur Verfügung stellen. Wir erproben auch immer wieder neue Formate und evaluieren sie, sozusagen stellvertretend für die Community. So war unsere Web-basierte Plattform mit ihren Videos und Podcasts ein Novum im wissenschaftlichen Kontext. Wir haben uns rasch auf Facebook und Twitter etabliert und einen der ersten Blogs in diesem Bereich gestartet. Ein Ziel ist es, zu berichten, was in der Hochschullehre und in der Forschung – auch der am IWM – passiert. Ein weiteres Ziel ist, auch durch eigenes Probieren die Frage zu beantworten, wie sich digitale Medien und Formate einsetzen lassen, sodass sie gleichzeitig leicht zugänglich, seriös und wissenschaftlich fundiert sind. In unserer Community werden die aktuellen Entwicklungen einer breiten Öffentlichkeit präsentiert und – zum Beispiel in unseren Online-Events – auch sehr lebhaft diskutiert.

Corona erforderte den Umstieg auf die reine Online-Lehre. Wie unterstützt e-teaching.org Lehrende an den Hochschulen konkret?

T_ Als wegen Corona keine Präsenzlehre stattfinden konnte, haben wir unmittelbar zwei Online-Events aufgesetzt. Das erste diente dem Austausch zum Status quo – und wurde von vielen auch als gegenseitige Ermutigung empfunden. Das zweite bot praktische Hilfestellung, wie mit einfachen Mitteln Lehrveranstaltungen online durchgeführt werden können. 900 Teilnehmende waren live dabei und die Abrufzahlen im Nachhinein noch mal deutlich höher. Aber natürlich kann man in einer einstündigen Veranstaltung nicht richtig in die Tiefe gehen. Das riesige Interesse hat uns dann motiviert, unser Sommersemester-Programm kurzfristig umzuwerfen und gemeinsam mit Partnern einen zweiwöchigen Kurs anzubieten, den wir „Quickstarter Online-Lehre“ genannt haben: Ein hochkonzentriertes Programm mit verschiedenen Referentinnen und Referenten und einer Fülle an Materialien, die wir online zur Verfügung gestellt haben. Die einzelnen Kurseinheiten haben sich zum Beispiel mit Fragen wie diesen beschäftigt: Wie wird eine solche Veranstaltung lebendig und interaktiv? Wie drehe ich ein Video, das aktives Mitmachen initiiert? Wie können Prüfungen abgehalten werden? Ein Follow-up im Sommer bot Lehrkräften die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch. Dass wir mit diesem Angebot den Nerv getroffen haben zeigt neben dem außergewöhnlich hohen Interesse die Tatsache, dass wir dafür die Comenius-EduMedia-Medaille und das Comenius-Siegel bekommen haben.

Das Portal hat inzwischen eine enorme Reichweite. Lässt sich das beziffern?

T_ Die Abrufe der Veranstaltungsaufzeichnungen haben sich durch Corona im letzten Jahr fast versiebenfacht und lagen insgesamt bei über 700.000. Auch haben sich im vergangenen Jahr deutlich mehr Personen in unserer Community angemeldet und unseren Newsletter abonniert als sonst, sodass die Community aktuell rund 8.000 Mitglieder zählt. Der Newsletter hat derzeit etwa 7.400 Abonnentinnen und Abonnenten. Aber man muss nicht Mitglied sein, um die Angebote von e-teaching.org zu nutzen – die Zahl der tatsächlichen Anwenderinnen und Anwender ist auf jeden Fall deutlich höher: Im vergangenen Jahr verzeichnete das Portal täglich rund 10.000 Besuche.

Sie begleiten mit e-teaching.org die Entwicklung und Umsetzung neuer Lernszenarien mit digitalen Medien bereits seit 2003. Worüber hat man sich damals unterhalten?

T_ Zu den Zielen gehörte um die Jahrtausendwende herum, E-Learning an den Hochschulen über die „5-Prozent-Hürde“ zu bringen. Das war allerdings schwierig zu messen und wurde häufig an den Einsatz von Lernmanagement-Systemen geknüpft, die gerade an den Hochschulen Einzug hielten. Web 2.0 und Formate wie Wikis und Blogs haben sich erst am Horizont abgezeichnet. Dennoch: Hier wurden die Grundlagen geschaffen, die uns heute zugutekommen. Und dann gab es natürlich Vorreiter und Pioniere, die neue Ideen ausprobiert haben. Interessant ist, dass sie dabei vor allem didaktischen Impulsen folgten, also der Frage nachgegangen sind: Wie kann ich mit digitalen Medien die Lehre verbessern? Hochschuldidaktische Angebote, die sich ansonsten keines allzu großen Interesses erfreuten, wurden auf einmal als wichtige Unterstützung wahrgenommen.

Zitat Dr. Anne Thilossen

Wie groß ist heute die Sorge an den Hochschulen, sich durch neue Lehr-Formate grundlegend ändern zu müssen?

T_ Die Digitalisierung wird die Hochschulen perspektivisch sicher stark verändern – sie verändert ja unsere gesamte Gesellschaft. Und wir müssen uns natürlich fragen: Welche Aufgaben übernehmen die Hochschulen künftig in dieser veränderten Gesellschaft, welche Rolle spielen sie? Die Perspektive einer solchen Veränderung kann für einige sicher besorgniserregend sein. Aber ich denke, es ist wichtig, dass die Hochschulen sich ihr stellen – über die veränderte Gestaltung von Lehrveranstaltungen hinaus. Und das wiederum ist eher eine Sache der Organisationsentwicklung und des Kulturwandels. Wenn Sie Lehrende darauf ansprechen, warum sie keine digitalen Medien einsetzen, dann werden häufig Aspekte wie Zeitknappheit oder Arbeitsbelastung angeführt. Die eigentlichen Hinderungsgründe sind aber eher unterbewusst, etwa, dass es im Kollegium unüblich ist, mit digitalen Medien zu arbeiten oder in der Scientific Community nicht anerkannt wird. Dann fehlt die gegenseitige Motivation, die Möglichkeit des Austauschs. Deshalb ist es uns auf e-teaching.org auch wichtig, immer wieder Gelegenheiten zu schaffen, in denen wir gemeinsam mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort solche Fragen diskutieren.

Inwiefern muss digitale Lehre heute auch beinhalten, mit einem Überfluss an Wissensressourcen umzugehen – Stichwort digitale Kompetenz?

T_ Tatsächlich ist das weniger ein Thema der digitalen Lehre als der Lehre überhaupt. Zur Studierfähigkeit gehört heute, digitale Medien als Handwerkszeug nutzen zu können. Die Lehrenden müssen sich darüber klar werden, dass ihre Studierenden diese Digital Academic Literacy erst erwerben müssen. So, wie sie ja auch das wissenschaftliche Arbeiten erst lernen müssen. Und dass es ihre Aufgabe ist, hier zu unterstützen. Aktuell beteiligt sich das IWM am Forschungsprojekt „Digi-EBF“, das sich um die Digitalisierung in allen Bildungsbereichen kümmert. Unser Fokus liegt hier auf der Lehrer- und Lehrerinnenbildung. Ein entsprechendes Themenspecial auf e-teaching.org ist auf großes Interesse gestoßen und hat zu vielen Rückmeldungen aus der Praxis geführt, die auch in unsere Digital Learning Map eingeflossen sind.

Stichwort Austausch: Wie wichtig ist die Vernetzung mit der Community der Akteurinnen und Akteure?

T_ Sie ist natürlich das A und O, denn sie füllt nicht nur das Portal mit Leben, sondern sorgt auch dafür, dass immer mehr Menschen davon erfahren. Wir kooperieren mit über 100 Hochschulen und Bildungseinrichtungen, sind Mitglied in verschiedenen Fachgesellschaften und Initiativen auf Landesebene, nehmen an Tagungen und Messen teil und publizieren in den einschlägigen Medien. Der Input aus der Praxis ist für uns elementar wichtig. Nicht nur, dass wir als kleines Redaktionsteam diese Fülle an relevantem Content nicht allein bereitstellen könnten, wir sind ja auch nicht vor Ort. Umgekehrt bieten wir den Hochschulen einen Blick über den eigenen Tellerrand hinaus und Einblicke in die Forschung. Der Erfahrungsaustausch ist unverzichtbar!

3 Fragen an: Dr. Anne Thillosen

Anne Thillosen ist Leiterin des Service-Portals e-teaching.org am IWM. Die Plattform stellt seit fast 20 Jahren umfangreiche, wissenschaftlich fundierte und praxisorientierte Informationen zur Gestaltung der Hochschullehre mit digitalen Medien zur Verfügung. Zu den Forschungsschwerpunkten von Anne Thillosen zählen Veränderungsprozesse, die durch digitale Medien angestoßen werden, E-Learning-Konzepte an Hochschulen sowie Qualitätssicherung und Evaluation. Im Interview spricht sie unter anderem über die e-teaching.org-Community und über Lerneffekte beim Einsatz digitaler Medien.