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Internet

Im Alltag allgegenwärtig:
Wissensbezogene Internetnutzung

Wikipedia, Soziale Medien, Online-Foren: Wer heutzutage Informationen sucht, surft durchs Netz. Wie sie das Internet wissensbezogen nutzen, steuern die Menschen selbst – allerdings spielen dabei zahlreiche psychologische Prozesse eine ebenso wichtige Rolle wie Algorithmen, die »relevantes« Wissen anbieten. Das IWM untersucht, welchen Einfluss diese Faktoren auf Wissenserwerb, Meinungsbildung und Entscheidungsfindung haben.
Prof. Dr. Sonja Utz, Leiterin der IWM-Nachwuchsgruppe Soziale Medien, über das Zusammenspiel von Algorithmen und Psychologie beim Wissenserwerb aus dem Netz

Zur Einordnung vorab: Was bedeutet wissensbezogene Internetnutzung?


Utz: Fakten in Wikipedia nachschlagen, in Gesundheitsportalen nach Krankheitssymptomen suchen, Erklärvideos auf YouTube ansehen, Nachrichten von Freunden auf Social-Media-Kanälen lesen und dabei über Live-Hacks stolpern, sind nur einige wenige Beispiele aus einem ganz breiten Spektrum. Gemeinsam ist diesen Aktivitäten, dass Menschen sich im Internet bewusst oder unbewusst Wissen aneignen und zwar in ihrer Freizeit – also nicht im Rahmen von Schule, Hochschule oder Beruf.

Das Internet ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Was genau erforschen Sie bei der wissensbezogenen Nutzung?

U_ Im Mittelpunkt stehen die Menschen und wie sie das Internet nutzen. Das haben sie zwar grundsätzlich selbst in der Hand, aber zahlreiche psychologische Prozesse beeinflussen, wie Wissen erworben, gebildet oder verarbeitet wird. Hinzu kommen technologische Algorithmen, die mitbestimmen, welche Informationen angeboten werden. Hierzu liefern wir mit unserer Forschung praxisrelevante Erkenntnisse.

Können Sie ein Beispiel geben, wo die Psychologie ins Spiel kommt?

U_ Nehmen wir einen typischen Fall wissensbasierter Internetnutzung im Alltag: Jemand sucht auf YouTube nach der Montageanleitung für einen Schrank. Da alle Videos einstellen können, gibt es zu jedem Thema eine große Bandbreite. In unserem Beispiel werden sich zahllose Bauanleitungen finden – vom professionellen Handwerker bis hin zur begabten Heimwerkerin. Welches davon wird sich der oder die Suchende auswählen? Unsere Studie zeigt, dass das neben der didaktischen und technischen Qualität vor allem von den Protagonistinnen und Protagonisten abhängt. Nutzerinnen und Nutzer bevorzugen in der Regel diejenigen, die eher einen informellen, dialogischen Stil pflegen.

Und für wen sind Forschungsergebnisse wie diese interessant?

U_ Wir befassen uns mit den zentralen, gesellschaftlichen Entwicklungen im Internetbereich. Das sind Mainstream-Themen, getrieben von brandaktuellen Entwicklungen, die nicht nur eine spezielle Zielgruppe tangieren, sondern die gesamte Bevölkerung. Niemand konnte beispielsweise vorhersehen, dass der Virologe Christian Drosten während der Corona-Pandemie so populär werden würde. Diese Sichtbarkeit, nicht nur über seinen Podcast, sondern auch über Facebook-Fanpages und den Hashtag #teamdrosten, ist in dieser Form für die Wissenschaftskommunikation neu. Dazu stellen sich viele Fragen: Ist der Erfolg spezifisch für Christian Drosten oder können das auch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler? Wird das große Interesse durch die Pandemie hervorgerufen oder ist es übertragbar, beispielsweise auf die Klimakrise? Die Voraussetzungen sind ja sehr unterschiedlich. In der Pandemie gab es permanent neues Wissen über relativ schnell wirkende Schutzeffekte wie Masken oder Quarantäne. Dagegen können sich die Menschen durch ein verändertes Verhalten nicht unmittelbar vor dem Klimawandel schützen. Solchen Aspekten gehen wir mit unserer Forschung auf den Grund.

Das Thema Gesundheit ist ein wichtiger Anwendungsfall. Fakt oder Fake: Wie glaubwürdig ist Wissen aus dem Netz?

U_ Es gibt nicht die generelle Aussage, dass Wissen aus dem Internet wahr oder unwahr ist. Das hängt stark von der Quelle ab, und deswegen ist es sehr wichtig, sich diese genau anzusehen. Objektivität kann aber auch durch die eigenen Emotionen oder Motivationen beeinträchtigt werden. Studien belegen, dass Menschen nach Informationen suchen, die ihre bestehende Meinung bestätigen, und diese Informationen dann eher glauben. Relevant ist in diesem Zusammenhang auch der Mere-Exposure-Effekt. Danach bewerten wir eine Information zunehmend positiver, wenn wir sie immer wieder wahrnehmen, auch ohne sie bewusst anzuklicken. Das ist gerade im Fall von Fake News gefährlich.

Ihre Erkenntnisse sind bedeutend dafür, Wissen aus dem Internet richtig einzuschätzen. Wie erfährt die Öffentlichkeit davon?

U_ Wir haben eine hohe mediale Präsenz quer durch die Presselandschaft. Das beginnt bei den lokalen und überregionalen Tageszeitungen. Die Expertinnen und Experten vom IWM sind aber auch gefragte Interviewpartnerinnen und -partner für Printmedien, Hörfunk und Fernsehen. Über alle Kanäle hinweg haben sich so zum Beispiel unsere Forschungsergebnisse zu Verschwörungstheorien verbreitet, für die die Menschen besonders empfänglich sind, wenn sie, wie in der Corona-Pandemie, unsicher sind oder sich bedroht fühlen.

Teilen Sie Ihre Expertise auch noch auf anderen Wegen?

U_ Das IWM gehört seit Gründung dem Exzellenzcluster Maschinelles Lernen an. Dort tauschen wir uns direkt mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus, aber auch mit der interessierten Öffentlichkeit im Rahmen einer Bürgersprechstunde und über Beiträge in einem Blog. Wir engagieren uns zudem in einem regionalen Netzwerk mit Mitarbeitenden von Schulen und der Jugendhilfe zu Themen wie Internetsucht oder Cyber-Mobbing. Auch international treten wir öffentlich in Erscheinung. Ein anderes Beispiel ist eine Veranstaltung der Association for Child and Adolescent Mental Health in Großbritannien, bei der eine Wissenschaftlerin des IWM als unabhängige Expertin zum Thema elterliche Smartphone-Nutzung auf dem Podium saß. Dieses Thema griff wiederum eine deutsche Elternzeitschrift auf, die sich dafür interessierte, ob sich Mütter überfordert fühlen, wenn sie auf Social-Media-Kanälen immer Idealbilder der Mutterschaft sehen.

Zitat Prof. Dr. Sonja Utz

Bestimmt neben den psychologischen Prozessen auch die Technik mit, welche Inhalte bei einer Internetsuche ausgewählt werden?

U_ Algorithmen spielen auf jeden Fall eine Rolle. Das merkt man dann, wenn man seinen Feed in den Sozialen Medien von relevantesten News auf neueste News umstellt. Dann bekommt man plötzlich Nachrichten von entfernten Bekannten oder zu Themen, die einen nicht besonders interessieren. Insofern sind Algorithmen sehr hilfreich, denn ansonsten würden wir angesichts der Flut an Informationen kapitulieren.

Stichwort Datenflut: Algorithmen können diese viel schneller verarbeiten als das menschliche Gehirn. Würden die Menschen es darum auch akzeptieren, dass die Technik Entscheidungen trifft?

U_ Je moralischer eine Entscheidung, desto weniger möchten die Menschen, dass Algorithmen sie treffen. Eine sehr moralische Fragestellung in Zeiten von Corona ist beispielsweise, wer eines der Beatmungsgeräte erhält, wenn diese knapp werden. Eine weniger moralische ist, wer finanzielle Unterstützung bekommt, wenn im Lockdown Geschäfte schließen müssen. Generell zeigte unsere Studie, dass die Bevölkerung aber einem Team aus Algorithmus und Mensch sehr offen gegenübersteht, wenn die Technik den Input liefert und der Mensch letztlich entscheidet. Aber auch Persönlichkeitsmerkmale spielen eine Rolle. Menschen, die eher konventionell sind und sich eine starke, klare Führung in der Pandemie wünschen, bevorzugen eine algorithmische Entscheidung, da diese konsistenter ist.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Wie wird sich das Praxisfeld wissensbasierte Internetnutzung weiterentwickeln?

U_ Die Suche nach Wissen im Internet ist heute Standard und wird durch neue Medien wie virtuelle Sprachassistenten und Chatbots zunehmen. Auch die Grenze zwischen Berufs- und Privatleben wird immer mehr verschwimmen. Das sehen wir im Rahmen unserer Forschung zu Ambient Awareness – also dem regelmäßigen Überfliegen von Timelines in beruflichen Netzwerken wie Xing oder LinkedIn, um zu wissen, wer was macht und weiß. Dieselben Prozesse laufen auch ab, wenn Menschen privat auf Plattformen unterwegs sind.

3 Fragen an: Prof. Dr. Sonja Utz

Sonja Utz leitet die Nachwuchsgruppe Soziale Medien des IWM. Mit ihrem Team untersucht sie, welche Rolle soziale Medien und mobile Kommunikation für den Wissenserwerb und -austausch spielen. Die Bandbreite der betrachteten Settings reicht dabei von „How to…“-Videos auf YouTube bis hin zum professionellen Networking auf Portalen wie LinkedIn oder ResearchGate. Über Gegenwart und Zukunft der wissensbezogenen Internetnutzung spricht sie im Interview.