Loading...

Museum

Museen im digitalen Zeitalter:
Das Wissen geht neue Wege

Nachhaltigkeit, Provenienzforschung, Digitalisierung: Weltweit stehen Museen vor großen Herausforderungen. Auf ihrem Weg in eine lebendige Zukunft werden sie vom IWM unterstützt. Die Projekte sind so vielfältig wie die Museumslandschaft selbst.
Prof. Dr. Stephan Schwan, Leiter der Arbeitsgruppe Realitätsnahe Darstellungen, über die Herausforderungen eines zunehmend digitalen Bildungsortes

Herr Professor Schwan, erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit der Institution „Museum“?


Schwan: Ich bin in Frankfurt aufgewachsen und kann mich noch gut erinnern, dass ich regelmäßig mit meinen Eltern im Senckenberg-Museum war. Man weiß ja, dass Kinder eine große Affinität zu Dinosauriern haben – das war bei mir natürlich auch nicht anders. Und insofern haben mich die Triceratops - und wie sie alle heißen - stark beeindruckt. Dieses Interesse hat sich über die Jahre hin erhalten, die naturhistorischen Museen, wie zum Beispiel die paläontologische Sammlung in Tübingen, haben mich sehr geprägt. Also, ich will nicht sagen, ich hätte Museen mit der Muttermilch aufgesogen, aber ich bin doch durch ziemlich viele Museen gekommen.

Viele assoziieren mit dem Begriff Museum etwas Altertümliches, das aus der Zeit gefallen ist. Warum haftet den Museen auch heute noch das Etikett „verstaubt“ an?

S_ Manchmal liegt das einfach daran, dass die ausgestellten Sammlungen aus der Vergangenheit stammen. Steinzeitliche Artefakte oder mittelalterliche Exponate aus Ausgrabungen zum Beispiel sind eben Referenzen einer längst vergangenen Zeit. Oft ist es aber die Art und Weise, wie die Ausstellungsstücke präsentiert werden. Doch ich muss gestehen, auch die "verstaubten" Museen haben ihren Charme für mich. Ich denke da ans Naturkundemuseum in Wien: Das sind so wunderbare alte Vitrinen, würden die aufgegeben, fände ich es sehr schade. Generell geht es aber tatsächlich verstärkt darum, sogenanntes Audience Design zu betreiben, also sich auf die Besucherinnen und Besucher einzustellen. Wichtige Fragen sind dabei: Welche Voraussetzungen bringen sie in eine Ausstellung mit? Und: Welche Mittel stehen zur Verfügung, um Themen zu vermitteln?

Das heißt, um Wissen in Form von Informationen spannend und nachhaltig transportieren zu können, braucht es also – ganz im Sinne der Customer-Journey, oder besser: der Visitor-Journey – den Blick durch die Brille der Besucherinnen und Besucher?

S_ Ja unbedingt! Wir unterstützen Kuratorinnen und Kuratoren sowie Museumsgestalterinnen und -gestalter dabei, mehr über ihre Besucherinnen und Besucher zu erfahren. Das zeigt das Beispiel des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig. Hier galt es, ein Informationssystem zu entwickeln, und zwar für eine Ausstellung, in der die Museumsmacherinnen und -macher ihre „Top 100“-Werke aus der barocken Sammlung mit wunderschönen Gemälden und handwerklichen Gegenständen zusammengestellt hatten. Wir haben uns mit den Kuratorinnen und Kuratoren unterhalten und gefragt, was sie für die interessantesten Exponate halten. Dann haben wir dieselbe Frage den Besucherinnen und Besuchern gestellt. Die Diskrepanzen waren erstaunlich! Das heißt, dieses Wissen darüber, wie die Zielgruppe tickt, das ist in den Museen häufig sehr wenig ausgeprägt. Hier können wir als IWM einen großen Beitrag leisten.

Wahrscheinlich nicht nur mit dem Blick aufs Wie, sondern auch aufs Was …

S_ Genau, und zwar unter dem Aspekt, wie sich Exponate adäquat erschließen lassen. Auch das haben wir in diesem Projekt sehr intensiv untersucht. Da zeigte sich, wenn ich beispielsweise ein sehr kleinformatiges, detailliertes Gemälde habe und dieses auf einem Touch-Pad mit zwei kurzen Fingerbewegungen vergrößern kann, erzeugt das beim Museumsgast einen Wow-Effekt. Auch weil ihr oder ihm auf einmal auf eine ganz andere Art klar wird, aus wie vielen verschiedenen Details die Darstellung besteht und was sich in diesem Gemälde alles entdecken lässt. Wenn diese Darstellungen dann auch noch digital interaktiv sind und bei bestimmten Elementen einfach per Fingertipp Zusatzinformationen und Erläuterungen erscheinen, dann ist für alle sofort evident, welchen Benefit es hat, dass Werke zusätzlich digital erschlossen werden. Was außerdem für die Digitalisierung spricht, ist, dass inzwischen viel Wissen etwa um Symboliken und historische Zusammenhänge verloren gegangen ist. Hier lässt sich mit digitalen Medien eine zusätzliche Informationsebene schaffen. Und das auf eine sehr anschauliche Weise, etwa in Form des Touch-Tisches, den wir hier am IWM entwickelt haben. Eine neue Technologie, die großflächige Displays ergänzen oder sogar ersetzen kann, ist Augmented Reality. Denn AR-Devices lassen sich in Ausstellungen sehr flexibel einsetzen.

Lenken diese Technologien nicht zu sehr vom Eigentlichen ab?

S_ Das ist eine Kernfrage. Exponate sind häufig wie ein Katalysator für ein Gespräch zwischen den Besucherinnen und Besuchern, die dann zu einer viel tieferen Verarbeitung führt. Digitale Medien können das Dialogische stören – wenn Sie zum Beispiel an Audioguides denken, die eine Unterhaltung schwierig machen. Das gilt auch für andere Medien, wie etwa virtuelle Realitäten. Auch sie sind Isolatoren, denn wer eine AR-Brille aufsetzt, taucht in eine eigene Welt ab – alle anderen bleiben außen vor. Das kommunikative Element auszubremsen, kann also ein Problem der digitalen Medien sein. Ob sie – frei nach Walter Benjamin – auch die Aura des Exponats beeinträchtigen, da bin ich mir nicht sicher. Bei Augmented Reality mag das so sein, denn AR bedeutet ja, dass das Tablet zwischen mir und dem Exponat steht. Ich sehe das Exponat nicht mehr direkt, sondern auf dem Bildschirm an. Da wird eine mediale Ebene eingezogen, was natürlich nicht sein darf. Wenn ich allerdings an die Zukunft denke und moderne AR-Brillen wie die HoloLens ansehe: Da fällt genau diese Zwischenebene weg, denn ich habe die Brille auf und die digitalen Informationen werden direkt in mein Blickfeld eingeblendet. Vermutlich vergesse ich sogar irgendwann, dass ein Medium zwischen mir und dem Ausstellungsstück ist.

Das IWM forscht also am lebenden Objekt, um Leben zum Objekt zu bringen. Wie machen Sie das, wie können Ihre Forschungsergebnisse in die Museen hineinwirken?

S_ Exakt das ist die Idee der anwendungsorientierten Grundlagenforschung. Dafür setzen wir uns mit den Museumsleuten zusammen und besprechen, welche Themen ihnen gerade am Herzen liegen. Denn wir wollen ja gerade nicht an den Museen vorbei forschen, zu Themen, die vielleicht aus wissenschaftlichen Aspekten interessant sind, aber für die Praxis nichts bringen.

Wir wollen Themen aufgreifen, die auch wirklich am Puls der musealen Entwicklung sind. Aktuell spielt zum Beispiel eine große Rolle, wie sich kontroverse Themen in Museen vermitteln lassen. Früher waren Museen ja eher ein Hort des kanonisierten Wissens. Es wurde weitergegeben, was wissenschaftlich klar war. Wenn man jetzt aktuelle gesellschaftliche Themen aufgreift, so wie den Klimawandel oder in unserem Projekt mit dem Deutschen Museum „Tierzucht und Tierwohl“, gelangen wir in Bereiche, die sehr kontrovers diskutiert werden. Und dann stellt sich die Frage, wie solche Themen so aufbereitet werden können, dass diese Widersprüchlichkeit und Fragilität der wissenschaftlichen Erkenntnisse einerseits rüberkommen, andererseits die Komplexität die Besucherinnen und Besucher aber auch nicht überfordert.

Zitat Prof. Dr. Stephan Schwan

Hierzu gab es das Schwerpunktprogramm „Wissenschaft und Öffentlichkeit“ der DFG, in dem das IWM zusammen mit dem Deutschen Museum ein wissenschaftliches Projekt zu dem Thema hatte. Darauf aufbauend haben wir ein Erkenntnis-Transfer-Projekt bekommen – was eine hohe Auszeichnung ist. Erkenntnis-Transfer-Projekt der DFG bedeutet, wissenschaftliche Forschungsergebnisse gemeinsam mit einem Anwendungspartner für die Praxis fruchtbar zu machen. In unserem Fall eben die Ausstellung zu Tierwohl und Tierzucht. Dazu haben wir im Vorfeld zusammen mit dem Museum prototypische Ausstellungsteile entwickelt, die dann im Museumshof in einer Art begehbarer Box präsentiert und systematisch experimentell variiert wurden. Etwa um zu klären, ob es einen Unterschied macht, wenn ein Exponat in die Hand genommen werden darf oder nicht. Und wir haben geschaut, wie sich das bei den Besucherinnen und Besuchern auswirkt, auf die Einstellung, ihren Wissenserwerb und so weiter. All diese Aspekte gehen in die zukünftige Ausstellung ein ...

Ein anderer Aspekt ist, dass wir in dem Projekt parallel dazu in Kooperation mit dem Institut für Museumsforschung in Berlin den wissenschaftlichen Status quo zusammengetragen haben, was denn überhaupt über die Vermittlung kontroverser Inhalte in Ausstellungen bekannt ist. Diese Erkenntnisse werden gut verständlich für Praktikerinnen und Praktiker aufbereitet und auf einer vom IWM gehosteten Website gelauncht werden. Das sind zwei Strategien des Transfers.

Sie und Ihr Team vermitteln mit Ihren Forschungsprojekten also zwischen Museen und deren Besucherinnen und Besuchern?

S_ Ja, durchaus. Wir verstehen uns ein bisschen als Anwälte der Besucherinnen und Besucher, denn die haben sie im Moment noch nötig. Ich hoffe aber, dass wir uns irgendwann überflüssig machen – zumindest in dieser Hinsicht. Zurzeit läuft eine große Debatte über das sogenannte partizipative Museum, also die stärkere Einbindung der Besucherinnen und Besucher in die Gestaltung von Ausstellungen. Denn wir wissen ja zum Beispiel, dass Jugendliche kaum in Museen gehen. Verstärkend kommt hinzu, dass die Museen es normalerweise mit einem hochgebildeten Publikum zu tun haben, Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen aber selten erreicht werden. Eine dritte Herausforderung ist die Barrierefreiheit, die dafür sorgen soll, neue Zielgruppen für die Museen zu gewinnen. Ich denke, hier ist es wichtig, herauszufinden, wie wir Ausstellungen kompatibel zu Besuchsgruppen machen können, die eben noch nicht den Weg ins Museum gefunden haben. Da spielt auch der Konnex zwischen Schule und Museen eine sehr große Rolle. Die Idee ist, zu lernen, wie auch Kinder niederschwellig erreicht werden können, die normalerweise aus ihrem familiären Kontext heraus nicht ins Museum kommen. Forschungsergebnisse, die – so glaube ich – sehr relevant sind auch für politische Bildungsprozesse.

Was wird das IWM und die Museen über den Tag hinaus auch in Zukunft beschäftigen?

S_ Zurzeit bearbeiten wir die Frage nach der Authentizität historischer Orte. Was bewirkt es in einem Menschen, wenn sie oder er weiß, was sich dort abgespielt hat? Außerdem wird uns auch die Balance zwischen Digitalität und Materialität weiterhin beschäftigen. Und das dritte Thema ist, welche Rolle Abwechslung in einer Ausstellung spielt. Ausstellungen zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass Besucherinnen und Besucher ein sehr vielfältiges Bouquet an Informationen bekommen, und ich glaube, dass man daraus noch viel lernen kann. Auch und nicht zuletzt für die Gestaltung von Unterrichtsmaterial für die Schulen.

Gibt es Museen, die den Sprung in die Zukunft schon geschafft haben?

S_ Es gibt eine Reihe von wirklich guten, neuen, technologisch sehr innovativen Museen. Etwa das Futurium in Berlin oder das Zukunftsmuseum in Nürnberg, ein Ableger des Deutschen Museums. In München gibt es bald das Biotopia, ein ganz futuristisches Naturkunde- und Biologiemuseum, wo mit allen Tricks gearbeitet wird, was digitale Technologien anbelangt. Und wir haben die Experimenta in Heilbronn, die vor zwei Jahren eröffnet wurde. Das sieht aus, als ob da ein Raumschiff gelandet wäre. Es ist absolut fancy, was dort gezeigt wird.

3 Fragen an: Prof. Dr. Stephan Schwan

Stephan Schwan ist Leiter der Arbeitsgruppe Realitätsnahe Darstellungen, stellvertretender Direktor des IWM sowie Mitglied des Vorstands der Stiftung Medien in der Bildung. In seiner Forschung vergleicht er Darstellung und Wirklichkeit und untersucht deren Einfluss auf den menschlichen Wissenserwerb. Dies umfasst unter anderem die Rolle digitaler Medien und authentischer Exponate für das Lernen in Museen und Ausstellungen. Über deren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft spricht er auch im "3 Fragen an"-Interview.